Klassische Musik, Elektronik und Popkultur sind schon längst keine Gegensätze mehr. Die Grenzen verschwimmen, völlig neue Musik entsteht. Heute ist die Neoklassik als innovative Strömung fest in der gegenwärtigen Musikwelt etabliert. Gemeinsam mit der Konzertdirektion Dr. Rudolf Goette machen wir mit der Konzertreihe „ProArte X“ erneut führende internationale Vertreter der genreübergreifenden Klassikszene erlebbar. Wir erklären, warum "Klassik" in diesem Fall auch "Techno" bedeuten kann und Musik nicht immer nur schön sein muss.

"Ich verstehe nicht, warum Leute Angst vor neuen Ideen haben. Ich habe Angst vor den alten."

-John Cage

Neoklassik. Techno, Punk, Rock oder Popmusik mal anders. Es geht nicht darum, Musik neu zu erfinden, sondern darum, vertraute Klänge zu reduzieren, um zusätzliche Genres zu erweitern und mit ihrer ursprünglichen Form zu brechen. Künstler wie Francesco Tristano, Poppy Ackroyd, Nils Frahm oder auch Henrik Schwarz und Marc Romboy tun genau das. Der Ursprung ihrer Musik kann in der Klassik, dem Techno oder dem Pop liegen – die Erweiterung und Veränderung der Klänge schließt sich jedoch zu dem Genre Neoklassik zusammen.

Ob dieser Begriff passend für die Erweiterung oder Reduktion von einem bisher verbreiteten Genre ist - darüber lässt sich streiten. Das Verständnis von klassischer Musik und der Wortteil -klassik aus dem Wort Neoklassik haben im Grunde nicht unbedingt miteinander zu tun. Klassikkenner würden das wohl so unterschreiben.

Worin liegt also die Besonderheit dieser Musik?

Zum einen in der Erweiterung oder Reduktion von bisher bekannten Klängen oder dem Bruch mit der gewohnten Nutzung von Instrumenten. Aber auch Genre-Elemente zu mischen oder bereits bekannte Werke in neue musikalische Sphären zu bringen, gehört zum Selbstverständnis der Neoklassik.

Große Popkünstler schaffen es, Millionen von Menschen emotional zu berühren. Ein Zusammenspiel aus der richtigen Tonfolge, einer berührenden Stimme und Texten, mit denen sich sehr viele Menschen abgeholt, verstanden und angesprochen fühlen, sind vor allem Gründe für den Erfolg. Man könnte sagen, diese Art der Musik ist von den Hörern und Konzertbesuchern gelernt und daher schneller im Alltag integriert als Musik, die in ihrer Zugänglichkeit nicht diesen Komponenten entspricht.

In der Neoklassik lassen sich diese Elemente so nicht wirklich umsetzen. Die Tonfolge spielt natürlich auch hier eine große Rolle. Grob könnte man sagen, es gibt zwei Extreme in diesem Genre: Eher ruhige Musik in der man sich verlieren kann oder abstrakte Klänge, die durch ihre diversen Elemente und Schichten in ihrer Zugänglichkeit erstmal eine Herausforderung darstellt, beispielsweise wenn zwei bekannte Genres zusammenfinden und den typischen Mustern widersprechen. Man könnte sagen, dass der Unterschied zwischen Neoklassik und anderen Genres im Zugang zur sowie der Auseinandersetzung mit dieser Form von Musik liegt. Ein Konzert mit ruhigen Klavierklängen kann für viele langweilig und uninteressant sein. Für andere, die sich darauf einlassen wollen, kann es hingegen aufregend und entspannend zugleich wirken. Ebenso das andere Extrem, das für manche Personen als noisy empfunden wird, kann durch eine bewusste Auseinandersetzung mit den jeweiligen Klängen ein großartiges Konzerterlebnis bieten. Mein Tipp: Einfach mal einlassen auf Unbekanntes.

Bereits in der vergangenen Spielzeit haben renommierte Künstler im Kleinen Saal der Elbphilharmonie Genregrenzen verschwimmen lassen.

Die Augen hören mit: Eine spannende Komponente kann auch die Auswahl der Konzertvenue sein. Klavierklänge verknüpft mit elektronischen Beats in einem schönen außergewöhnlichen Konzertsaal oder doch in einem dunklen Club mit aufwendiger Lichtshow. Der Künstler Francesco Tristano verzaubert beispielweise einerseits Konzertbesucher in klassischen Konzerthäusern und andererseits bringt er sein Publikum in Clubs zum Tanzen.

Und das Publikum? Wer hört Neoklassik und wippt in der Elbphilharmonie zu elektronischen Technobeats und klassischen Geigenklängen? Es scheint so, als wäre es eine wachsende Gemeinschaft. Konzertbesucher unterschiedlicher Altersgruppen, die das gewohnte Pop- oder Klassikkonzert bereits kennen und Neues kennenlernen wollen oder bereits schätzen gelernt haben, finden sich in den unterschiedlichsten Venues ein, um sich bewusst mit ungewöhnlichen Klängen auseinanderzusetzen oder einfach nur in Gedanken schwelgen.

Eine Möglichkeit, dieses Genre in all seinen Facetten kennenzulernen, bietet die in Kooperation mit ProArte entstandene Konzertreihe ProArte X. Künstler wie Francesco Tristano, Poppy Ackroyd, Tamar Halperin sowie Richard Reed Parry, Mitglied der erfolgreichen Band Arcade Fire, geben in der kommenden Saison ihre grenzüberschreitende Musik im kleinen Saal der Elbphilharmonie zum Besten. Also keine Angst vor neuen Ideen!