Auch wenn unser Geschäft still steht, arbeiten wir im Hintergrund schon lange an neuen Konzepten für sichere Live-Veranstaltungen. Konkret geht es darum, Konzertbesuche während und nach der Corona-Pandemie durch adaptive Infektionsschutz- und Hygienekonzepte, sichere Kontaktdatennachverfolgung, Cashless Payment und verständliche Kommunikation für unsere Gäste so sicher und angenehm wie möglich zu machen. Jasper Barendregt leitet das Projekt und erzählt im Interview, wie die Arbeit genau aussieht, und warum er sich selbst als schwierigen Gast bezeichnet.
Jasper, seit einem Jahr sehen wir uns nur am Bildschirm. Wie sieht dein Arbeitsalltag eigentlich gerade aus?
Das stimmt, unsere Kolleginnen und Kollegen sehen wir schon seit langer Zeit fast nur noch digital. Mitte März 2020, als wir mit der gesamten Firma geschlossen ins Home Office gegangen sind, haben wir uns nur auf einige Wochen eingestellt. Mittlerweile ist mehr als ein Jahr vergangen! Und während die ersten Wochen noch von Hoffnung geprägt waren, wurde unsere Zuversicht in Hinblick auf eine baldige Rückkehr zur Normalität Stück für Stück zerschlagen. Nachdem klar war, dass nichts mehr geht, mussten wir für Hunderte Konzerte und Veranstaltungen Ersatztermine koordinieren - eine absolute Mammutaufgabe.
Meinen Alltag hat die Pandemie auch total umgekrempelt: Seit dem frühen Herbst habe ich mich mit Fachleuten aus Medizin, Hygiene und Virologie auseinandergesetzt, um eine Frage zu klären: Wie kann man während und nach der Pandemie sichere und gute Veranstaltungen machen? Und wie können nötige Schutzmaßnahmen und Livekultur zusammenfinden, sodass ihr Besuch ein tolles Erlebnis bleibt? Diese und weitere Fragen beschäftigen mich nach wie vor, denn der Pandemieverlauf und die darauf reagierende Politik können sich von Tag zu Tag ändern.
Manchmal wirkt es so, als wären wir vom Veranstalter zum Krisenstab geworden, oder?
Genauso ist es ja auch. Ich musste mir wie viele im Unternehmen wahnsinnig viel neues Wissen aneignen. Allein mit Antigen- und PCR-Tests habe ich mich monatelang beschäftigt. Jeder von uns war und ist gezwungen, sich mit neuen Themen auseinanderzusetzen. Das ist schon eine besondere und herausfordernde Zeit, in der wir sehr viel dazulernen.
Du bist eher so der "Glas-Halb-Voll"-Typ, oder?
(lacht) Ich versuch's, aber es ist nicht immer leicht. Alles, was wir lieben, gibt es gerade nicht. Keine Konzertabende, keine Kulturhighlights. Der Totalausfall hat uns sehr mitgenommen. Anstatt das zu machen, was wir am besten können und unsere Gäste nicht länger warten zu lassen, planen und sprechen wir gemeinsam mit Politik und vielen Expertinnen und Experten. Das ist zwar interessant, aber oft auch frustrierend und letztlich nur Mittel zum Zweck. Wir wollen, dass es möglichst schnell weitergehen kann, ohne Kompromisse bei der Sicherheit unserer Gäste zu machen.
Gleichzeitig wollen wir diese Krise nutzen, um Konzepte und Ideen für die Zukunft mitzunehmen. Mein Landsmann, der niederländische Fußballer Johan Cruyff, hat mal gesagt: "Jeder Nachteil hat einen Vorteil" - eines der besseren Fußballer-Zitate, oder?
Der hätte Philosoph werden können. Wie kam es überhaupt konkret zum Projekt?
Schon kurz nach Beginn der Pandemie haben wir über Möglichkeiten nachgedacht, wie wir unsere Veranstaltungen nach der Wiederaufnahme an die neuen Bedingungen anpassen können. Schnell haben wir uns beispielsweise auf dem Gebiet der Festivals mit anderen Veranstaltern sowie Expertinnen und Experten zusammengetan und haben Konzepte erstellt, die Großveranstaltungen selbst unter Pandemiebedingungen sicher möglich machen können. Für Indoor-Events gibt es natürlich andere Herausforderungen und Lösungswege, mit denen wir uns in unterschiedlichen Arbeitsgruppen gerade beschäftigen - aber dazu kommen wir sicher später noch. Unsere Pläne haben wir auch bei Neustart Kultur, dem Förderprogramm des Bundes, eingereicht, aus dem wir für diese Arbeit projektbezogene Mittel beziehen.
Wir spüren eine Verantwortung, das Geld sinnvoll einzusetzen: Als eine einflussreiche Stimme für Live-Events möchten wir unsere Zugkraft nutzen, um Kultur möglichst schnell und sicher wieder möglich zu machen. Für uns bedeutet das, damit nicht eine einzelne Veranstaltung zu finanzieren, sondern ein Projekt, das vielen Events, und zwar nicht nur unseren, zugutekommen kann.
Außerdem fühlt es sich mal wieder gut an, tatsächlich an etwas Greifbarem zu arbeiten, was?
Auf jeden Fall. Die finanzielle Situation ist das eine, aber dabei vergisst man leicht, dass es unser Team gewohnt war, mehr als 100 Prozent Leistung zu bringen - und seit März letzten Jahres von einem Tag auf den anderen fast nur noch damit beschäftigt ist, die Folgen der Pandemie zu verwalten. Wir beschäftigen viele junge Menschen, die der Lockdown oft hart trifft: Etwa, weil sie alleine wohnen oder ihre Energie weder beruflich noch privat in viele Dinge stecken können, für die sie ansonsten gebrannt haben.
Das Projekt ermöglicht es uns, endlich nach vorne zu schauen und ist für alle Teilnehmenden letztlich auch eine weitere Gelegenheit, wertvolle Erfahrungen zu sammeln: Konzepte für Veranstaltungen unter Pandemiebedingungen werden in Zukunft wichtig bleiben; natürlich, weil Covid-19 nicht der einzige Erreger ist, aber auch, weil die Kultur nicht von heute auf morgen zu 100 Prozent zurückkehren wird und Regeln zu unserem Schutz noch eine Weile zu unserem Alltag gehören werden.
Eine konkrete Perspektive ist einfach wichtig. Die Veranstaltungsbranche war als Erstes von der Schließung betroffen und wird als Letztes wieder in die Normalität zurückfinden. Nun können wir die Zeit noch besser nutzen, um unser Team zu schulen.
Du hast sie eben schon angesprochen: Was genau passiert denn gerade in den unterschiedlichen Arbeitsgruppen?
Es gibt insgesamt vier Gruppen: Einen Maßnahmen- und Hygieneausschuss, eine Taskforce zur Kontaktdatennachverfolgung, eine Gruppe, die sich mit Cashless Payment befasst und ein Kommunikationsteam. Im Ausschuss laufen alle Fäden zusammen; er ermittelt in einem ersten Schritt die Bedingungen zur Durchführbarkeit jeglicher Veranstaltungen, stimmt diese mit Partnern und Behörden ab und erstellt daraus dezidierte Schutzkonzepte.
Die Gruppe zur Kontaktdatennachverfolgung arbeitet gerade an einem System, das diese Aufgabe automatisiert, indem die Abfrage relevanter Informationen direkt in den Ticketkaufprozess einbezogen werden oder auch später kurz vor Beginn der Veranstaltung eingesetzt werden kann, um behördlichen Anforderungen gerecht zu werden. Beim Cashless-Team ist der Name Programm: Bargeld- und damit kontaktlose Zahlungen sind bei manchen Konzerten auf Freiflächen oder Indoor-Venues noch nicht möglich - das wollen wir ändern. Das Kommunikationsteam bereitet alle Inhalte schließlich verständlich auf und gibt sie an unsere Gäste oder die Presse weiter.
Letztendlich geht's darum, dass für alle sofort und einfach ersichtlich wird, welche konkreten Maßnahmen für welche Veranstaltung greifen. Es macht Spaß, zu sehen, was wir in den ersten Monaten schon erreicht haben und wie gut die Teams aus unterschiedlichsten Abteilungen zusammenarbeiten.
Auf was freust du dich eigentlich mehr: auf dein erstes Konzert als Gast oder auf dein Comeback als Veranstaltungsleiter?
Ich freue mich erst mal tierisch, wenn die Kultur endlich zurückgekommen ist. Ich selbst bin übrigens ein eher schwieriger Gast: Ich kann es mir einfach nicht abgewöhnen, Events durch meine berufliche Brille zu betrachten. Entsprechend kann ich es kaum erwarten, endlich wieder selbst am Ruder zu sitzen. Kultur ist für mich wichtig, und ich ziehe mein Selbstverständnis daraus, sie möglich zu machen. Dass ich das gerade nicht tun kann und viele Menschen Live-Events schmerzlich vermissen, ist für mich der schlimmste Punkt. Natürlich wissen wir, dass wir dieses Opfer aus guten Gründen bringen. Auch das wird dazu führen, dass unser Wiedersehen unglaublich intensiv werden wird. Wir haben gemeinsam im Team und mit unseren Gästen so viel erlebt. Das muss, sobald es wieder sicher möglich ist, ordentlich gefeiert werden! Ich bin mir sicher: Wir werden eine Renaissance der Kultur erleben.
Darauf stoßen wir an! Bald. Vielen Dank für deine Zeit.
(Cover-Foto: Frank Embacher)