Jacob Collier befreit im Docks sein inneres Wunderkind
"One morning, I sat down at my kitchen table and had a cup of tea. It was delicious. Then I released an album." Jacob Colliers Erzählung, wie es zu seiner jüngsten Platte "Djesse Vol. I" kam, endet nicht nur unheimlich britisch, sie zeigt auch, dass dem 1994 geborenen Wunderkind aus London alles, was er anfasst, mit spielerischer Leichtigkeit gelingt. Mit seinem weltweit vielleicht einzigartigen Talent hat der Multiinstrumentalist und Komponist schnell Legenden wie Quincy Jones oder Herbie Hancock auf sich aufmerksam gemacht. Mittlerweile ist Collier aber längst nicht nur Jazzfans ein Begriff, entsprechend voll war das Docks bei seinem umjubelten Konzert in Hamburg.
Dort wurde Collier schon frenetisch beklatscht, bevor auch nur ein einziger Ton zu hören war. Kein Wunder, denn zum einen weiß sein Publikum, was es von Collier zu erwarten hat, und zum anderen war der zweifache Grammy-Preisträger nicht zum ersten Mal in Hamburg zu Gast. Sein letzter Gig in der Hansestadt war noch eine One-Man-Show, genauso wie sein vergangenes Album "In My Room", das er im Alleingang komponiert, eingespielt und produziert hat. Für die Tour zu Djesse hat er sich mit Bassist Robin Mullarkey, Drummer Christian Euman und Multiinstrumentalistin und Sängerin Maro zusammengetan. Ein kluger Schritt, denn "Djesse Vol. I" ist ein opulentes und orchestrales Album: Arrangement, Orchestrierung, Dramaturgie - alles wurde von Collier auf das prestigeträchtige Metropole Orkest zugeschnitten. Das Ergebnis ist eine Sammlung komplexer Songs mit unterschiedlichen Gastmusikern, die neben Jazz, Funk und A Cappella auch Einflüsse aus Choral oder Kunstmusik verarbeiten. Collier legt aber gerade erst los: Dem Album sollen im Laufe des Jahres noch drei weitere Platten mit Musik aus aller Welt folgen, die ausschließlich digital released werden. Eine passende Wahl, wenn man bedenkt, dass Collier seinen kometenhaften Aufstieg allein mit YouTube-Videos bestritten hat.
Die hat er, genauso wie seine Alben, übrigens in seinem Kinderzimmer in North London produziert. Einen besseren Ort für seine Musik gibt es wahrscheinlich nicht, wie er im Docks zwischen zwei Songs erzählt: "Music, like everything, is about play. That's what it's all about." Tatsächlich wirkt Collier wie ein Kind im Spielzeugladen, während er innerhalb eines Songs von einem Instrument zum nächsten rennt. Ihm fällt das alles leicht, seine Virtuosität passiert einfach. Wie viel Musik er in einen Track pressen kann, zeigt sich auch bei "With The Love In My Heart", einer mehrteiligen Tour de Force, die mit orchestraler Gravität beginnt, Funk-Rhythmen bis auf Prince-Level intensiviert und in einem fast schon naiven Vocal-Part dennoch versöhnlich endet:
Noch Fragen? Collier schon: "Who in the audience is a musician?" Die Hälfte des Publikums im Docks hebt die Hand. Die andere Hälfte hatte trotzdem sichtlich Spaß. Einem Wunderkind beim Spielen zuzusehen - Das erlebt man eben nicht jeden Tag.