Eine unbequeme Wahrheit: Rassistisches Denken ist nicht einfach ein Problem der anderen
Lasst uns über Rassismus sprechen. Aber nicht über den, der in kahlrasierten Köpfen spukt. Auch nicht über den der Anzugträger, die wir zähneknirschend in unserem Parlament dulden. Heute sprechen wir mal über uns. Über Menschen, die eigentlich weltoffen sind, aber Rassismus vor allem mit plumpen Parolen und Gewalt verbinden. Das Eingeständnis, dass auch wir ein Teil von Diskriminierung sein können, fällt nicht immer leicht. Gut, dass es Menschen wie Tupoka Ogette gibt, die andere bei diesem unbequemen Erkenntnisprozess begleiten.
Ein Vorteil der Pandemie: Wir haben gerade Zeit, uns als Team mit anderen wichtigen Fragen auseinanderzusetzen, die nicht primär etwas mit Musik zu tun haben. Ein Beispiel dafür war ein digitaler Vortrag samt Gesprächsrunde mit Tupoka, die als Trainerin und Beraterin für Rassismuskritik und Antirassismus im deutschsprachigen Raum tätig ist und mittlerweile tausende Einsätze in hunderten von Institutionen hatte. Außerdem ist sie Autorin von "Exit Racism", einem einflussreichen Buch zum Thema, das auch als Audiobook auf allen gängigen Plattformen verfügbar ist und das wir jedem unbedingt empfehlen.
Tatsächlich ist die Auseinandersetzung mit diesem Buch nötig, um versteckten, strukturellen und institutionalisierten Rassismus in unserem Alltag erkennen und bewerten zu können. Um ihn aber in Kürze besser greifbar zu machen, schauen wir uns einfach mal folgende Sätze an, die viele Schwarze oder People of Colour (POC) immer wieder hören:
"Afrika ist so ein schönes Land!"
"Mensch, ihr Afrikaner könnt alle so gut tanzen!"
"Klar kann sie als Asiatin gut Geige spielen!"
"Ach so, du bist gar kein Muslim?"
"Du kannst aber gut Deutsch!"
Was stimmt mit diesen Aussagen nicht? Sie sind nicht feindselig, im Gegenteil. Trotzdem sind sie problematisch, denn sie offenbaren Unwissen, Klischeedenken und Vorurteile - außerdem setzen sie fast unmerklich Grenzen, deren Mauern POC immer wieder aktiv einreißen und überwinden müssen. Denn was weißt du als Person mit vielleicht dunklerer Haut über die unüberschaubar vielfältigen Rhythmen des afrikanischen Kontinents, wenn du dein Leben lang in Bitterfeld gewohnt hast und eigentlich lieber Metal hörst? Deutsche Vegetarier mit heller Haut sind ja vermutlich auch ganz froh, dass man sich nicht permanent mit ihnen über Weißwurst unterhalten will.
Die obenstehenden Aussagen sind vielleicht plakativ, gehören so oder leicht abgewandelt aber immer noch zu unserem Alltag. Ein weiterer wichtiger Aspekt zur Überwindung dieser Strukturen ist das Erkennen der eigenen Privilegiertheit: Zum Beispiel, dass weiße Haut und ein deutscher Name hierzulande bei der Job- und Wohnungssuche immer noch von Vorteil sind. Wir Weißen leben, wie es Tupoka ausdrückt, in "Happyland", wo wir davon ausgehen, dass alle Menschen im Alltag so behandelt werden wie wir selbst, weil Rassismus klar geächtet und leicht erkennbar ist. Für uns ist Rassismus etwas, das man immer anderen zuschreibt und das nur aus Böswilligkeit heraus entstehen kann.
Die Wirklichkeit ist leider nicht so einfach. Mit einem empfindsameren Bewusstsein, für das sich Tupoka und viele andere Menschen zu Recht stark machen, fallen auch eigene problematische Denkmuster auf: Zum Beispiel, dass man vom "Dönermann" nicht unbedingt akzentfreie Sätze erwartet, oder Menschen mit nicht-deutschklingenden Namen mit geringerer Wahrscheinlichkeit für gut ausgebildet hält. Von der verstörenden Tatsache, dass viele Menschen Objekte in den Händen Schwarzer auf den ersten Blick öfter für Waffen halten, ganz zu schweigen.
All dieses Denken macht einen noch nicht zu einem schlechten Menschen. Verallgemeinerungen und Vereinfachungen in unseren Denkprozessen waren über Abertausende von Jahren überlebenswichtig und sorgen auch heute noch dafür, dass wir in Anbetracht unzähliger Reize überhaupt zum Denken und Handeln fähig sind. Es geht also nicht um Schuld, nicht um Gut und Böse. Es geht einfach nur darum, den inneren Autopiloten öfter auszuschalten, um erkennen zu können, dass wir unseren Mitmenschen manchmal unbewusst Leid antun. Kleine Piekser - Tupoka nennt das "Mückenstiche" -, die vielleicht nicht lebensgefährlich sind, aber den Betroffenen in ihrer Häufigkeit dennoch schaden. Wir selbst möchten Happyland jedenfalls so schnell es geht verlassen. Dazu gehört auch, unsere eigene Arbeit noch stärker zu hinterfragen. Was das bedeutet, planen wir gerade für unterschiedliche Bereiche. Wir werden im Blog definitiv ehrlich darüber berichten.